Immer mehr Organisationen haben erkannt, dass die Entwicklung von Fachexpert*innen in Führungspositionen nicht immer zielführend ist. Die Person mit der meisten Expertise im Team ist nicht automatisch dafür prädestiniert, die Menschen in ihrem Team zu leiten und nicht alle Potenzialträger*innen streben eine Rolle als People Lead an. Welche Option haben Mitarbeitende also, sich rollenmäßig weiterzuentwickeln?
Welche Option haben Mitarbeitende also, sich rollenmäßig weiterzuentwickeln? Um darüber zu sprechen, haben wir eine inspirierende Runde von Expert*innen in unser Kölner Büro zu einem Paneltalk eingeladen: Carolin Peltzer, People Partner bei METRO Markets, Fabiane Wolters, Teamlead Learning & Development bei Trusted Shops, Linda Brunner, People Lead HR-IT bei der REWE Group, und Eva Weidner, People Business Partner bei Eurowings Digital. Dieser Blogartikel fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Diskussion zusammen.
Alternative Karrierepfade
Zunächst eine wichtige Frage: Wenn es um Entwicklungskonzepte für unsere Mitarbeitenden geht, ist die Beschränkung auf rein hierarchische Führung überhaupt noch zeitgemäß? Ganz simpel gesagt, Nein – zumindest nicht in der Form, wie wir es traditionell kennen. Karriere wird nicht mehr ausschließlich über eine Führungslaufbahn definiert. Tatsächlich hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von WELT AM SONNTAG ergeben, dass nur etwa ein Viertel der Mitarbeitenden eine Führungsposition anstreben. 57 % der Befragten sind nicht oder nur wenig bestrebt, eine berufliche Führungsposition anzutreten. (Welt, 2024) Demnach wird es für Unternehmen immer wichtiger, auch Fachkarrieren aktiv zu fördern und Fachspezialist*innen die gleiche Wertschätzung wie Führungskräften zu geben. Fachexpert*innen sind in der modernen Arbeitswelt unverzichtbar. Sie sind die Wissensvermittler*innen, die Treiber*innen von Innovationen und die Strateg*innen hinter vielen wichtigen Entwicklungen. Fachkräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Unternehmensziele und haben damit ebenso viel Einfluss auf den Unternehmenserfolg wie Führungskräfte. Vor dem Hintergrund der Mitarbeiterbindung braucht es attraktive Entwicklungs- und Karrierepfade, die auch Personen ansprechen, die sich nicht in eine hierarchische Führungsrolle entwickeln möchten.
Fachkarriere – Von Wissensmanagement bis Entscheidungsbefugnis
Mit der Fachkarriere können Organisationen ihren Mitarbeitenden eine gleichwertige Alternative zur Führungskarriere bieten. Um die Expertenlaufbahn wirklich gleichwertig zu gestalten, müssen Expert*innen auch ein gewisses Mitspracherecht und Gestaltungsspielraum zugesprochen werden. Fachkarrieren führen in der Regel nicht bis in die obersten Führungsetagen. Bei der Entwicklung eines Fachkarrierekonzepts sollten Organisationen darauf achten, wie auch hier eine Durchlässigkeit bis in die oberste Management-Ebene gestaltet werden kann. Dabei geht es nicht nur um den Wissensaustausch, sondern auch um den strategischen Beitrag, den Fachkräfte leisten können. Der Wissenstransfer in Unternehmen ist eine Schlüsselkompetenz, die oft unterschätzt wird. Fachkarrieren bieten den Mitarbeitenden die Möglichkeit, genau hier eine zentrale Rolle zu spielen.
„Fachkarrieren sind entscheidend, um den Wissenspool im Unternehmen aufrechtzuerhalten und den strategischen Erfolg zu sichern“
Carolin Peltzer, Metro Markets.
Gehalt und Fairness – Fachkarriere vs. Führungskarriere
Wenn es darum geht, die Expertenkaufbahn gleichwertig und wertschätzend zu gestalten, müssen Unternehmen sich der fairen Entlohnung von Führungskräften und Fachexpert*innen befassen. Klassischerweise haben Führungskräfte in vielen Organisationen ein höheres Gehalt. Ist das fair? Fachexpert*innen tragen teilweise große Verantwortung für ihren Bereich – während Führungskräfte oft personelle und strategische Verantwortung tragen, tragen Fachspezialist*innen eine hohe inhaltliche und technische Verantwortung. Fehler in ihrer Arbeit können genauso gravierende Folgen haben wie Fehlentscheidungen auf Führungsebene. Darüber hinaus verfügen sie über tiefgreifende Kenntnisse und Fähigkeiten, die schwer zu ersetzen sind und dafür sorgen, dass Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben. In einer modernen Arbeitswelt, in der Wissen und Können mehr zählen als hierarchischer Status, sind erhebliche Gehaltsunterschiede zu Führungspositionen nicht mehr zeitgemäß. Um Top-Talente zu gewinnen und zu halten, müssen Organisationen ihre Gehaltsstrukturen überdenken. Dabei sind auch variable Modelle denkbar – beispielsweise die Arbeit mit Assignments und Projekten, die sich im Gehalt wiederspiegelt, oder daran anknüpfende Zielvereinbarungen.
Kompetenzen fördern – die Rolle der Personalentwicklung
Um ihre Rolle erfolgreich auszufüllen, benötigen Fachkräfte tiefgehende Fachkompetenzen sowie Innovationsfähigkeit, eine analytische Denkweise und Prozessorientierung. Auch überfachliche Kompetenzen sind entscheidend, um ihre Ziele zu erreichen, eigene Ideen voranzubringen und Stakeholder zu überzeugen. Dazu gehören unter anderem ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit, Kooperations- und Teamfähigkeit, digitale Kompetenzen und Kenntnisse über agile Arbeitsweisen und Projektmanagement. Die Personalentwicklung kann diese Fähigkeiten durch gezielte Entwicklungsformate fördern. Wie ein solcher Entwicklungspfad aussehen kann, zeigt beispielsweise Trusted Shops in ihrem Expertship Programm. In ihrem Vortrag bei der diesjährigen LEARNTEC kannst du mehr darüber erfahren.
Auszug aus der Expertship Journey bei Trusted Shops
Auch eine gemeinsame Weiterbildung von Fach- und Führungskräften ist denkbar. Durch gemeinsame Trainings- und Austauschformate können Synergien geschaffen und die Zusammenarbeit gestärkt werden. Beide Gruppen können außerdem mit- und voneinander lernen und von gemeinsamen Trainings profitieren. Denn auch wenn Führungskräfte andere Schwerpunkte haben, wie beispielsweise die Führung von Individuen und Teams, gibt es viele übergreifende Themen – etwa Change-Management, Kommunikationsstrategien oder Verhandlungsgeschick. Bei solchen gemeinsamen Trainings kommt es darauf an, die spezifischen Bedürfnisse der beiden Gruppen zu berücksichtigen und diese gleichzeitig zu fördern. Außerdem sollten die Anforderungen, die mit einer bestimmten Rolle einhergehen, klar definiert werden.
Zwischen Karrierepfaden wechseln – ist das möglich?
Sobald ich einmal den Weg als Führungskraft eingeschlagen habe, gibt es kein Zurück mehr. Oder doch? Diese Frage beschäftigt zwar viele bei der Karriereplanung, aber ein Wechsel von der Führungslaufbahn in eine Fachkarriere (oder umgekehrt) ist möglich. In einer modernen Entwicklungsplanung sollten Abweichungen nicht nur möglich, sondern explizit erwünscht sein. Es gibt immer mehr Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden die Flexibilität bieten, ihre Karriere auch während des Arbeitslebens neu auszurichten. Personen haben Lebensphasen, in denen sie einen stärkeren Fokus auf ihre Familie legen wollen und Phasen, in denen sie beruflich voll durchstarten können. Ein System, das flexible Wechsel zwischen unterschiedlichen Rollen ermöglicht, kann diesen Bedürfnissen besser gerecht werden als ein klassisches System, dass nur eine Richtung kennt. Durch diese Flexibilität können Unternehmen auch die Potenziale ihrer Mitarbeitenden besser nutzen. Fachlich herausragende Talente nicht immer die besten Führungskräfte – wo die individuellen Stärken und Motivatoren eines Menschen liegen, zeigt sich manchmal erst im Laufe ihrer Karriere. Ein Wechsel erlaubt es ihnen, ihren Schwerpunkt entsprechend anzupassen. Die Erfahrung in beiden Rollen geht außerdem mit neuen Perspektiven einher, die sowohl Fach- als auch Führungsebene bereichern.
Karrierewege müssen sich an die neue Arbeitswelt anpassen
Karrierewege sind heute weniger linear. Sie dürfen flexibel und individuell gestaltet werden, um den Anforderungen der neuen Arbeitswelt gerecht zu werden. Lebenslanges Lernen und eine agile Arbeitsweise erfordern, dass Unternehmen und Mitarbeitende bereit sind, traditionelle Karriereleitern zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Das bedeutet, dass Führungskarrieren und Fachkarrieren gleichwertig nebeneinander bestehen sollten und Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, ihre eigenen Stärken zu nutzen und weiterzuentwickeln. Wer heute noch den Führungspfad geht, könnte morgen schon als Fachexpert*in wieder auf eine andere Ebene wechseln. Fachkarrieren müssen genauso anerkannt und gefördert werden wie Führungskarrieren, damit Mitarbeitende ihre Fähigkeiten voll ausspielen können – und das Unternehmen davon profitiert. Unternehmen müssen nicht nur Platz für Führungskräfte schaffen, sondern auch für Fachkräfte, die mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten den Unterschied machen.
Möchtest du beim nächsten Austauschformat dabei sein und dich mit anderen Personen aus dem HR und L&D Bereich vernetzen? Tritt gern unserer L&D Community bei. Für mehr Informationen zum Thema Fachkarriere und entsprechenden Entwicklungspfaden sprich uns außerdem gerne an.