Vier unsichtbare Hürden für Frauen in Verantwortung – und wie HR sie aus dem Weg räumen kann 

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20. Mai 2025

Gender Bias im Job wirkt oft subtil – und doch mit spürbaren Folgen. Lerne vier typische Muster kennen, die Frauen im Arbeitsalltag betreffen. Erfahre, wie du – ob als HR-Verantwortliche*r, Führungskraft oder Kollegin – aktiv dazu beitragen kannst, diese Hürden abzubauen.

Warum Gender Bias ein Thema für deine Personalentwicklung ist

Stell dir vor: Eine hochqualifizierte Bewerberin überzeugt im Assessment Center mit Fachwissen und Auftreten – und trotzdem geht die Führungsposition an einen männlichen Kollegen. Die Begründung? „Sie ist gut – aber wir wollen sie erst noch länger beobachten.“ Solche Situationen sind keine Ausnahme. Sie spiegeln strukturelle Denkmuster wider, die Karrieren von Frauen bremsen – selbst in Organisationen mit klarer Diversity-Strategie. 

Dabei ist der Business Case längst belegt: Laut der McKinsey-Studie Diversity Matters Even More (2023) erzielen genderdiverse Teams bis zu 35% höhere Gewinne. Dennoch bleibt die Umsetzung von Diversity-Strategien und Gleichstellungszielen häufig an der Oberfläche – weil unbewusste Vorurteile (Unconscious Bias) schwer greifbar sind und deshalb oft unadressiert bleiben. 

Gender Bias betrifft nicht nur Einzelpersonen, sondern die gesamte Organisation. Er beeinflusst die Qualität von Personalentscheidungen – und damit direkt die Chancengerechtigkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Als HR-Verantwortlicher kannst du hier gezielt ansetzen – gemeinsam mit Führungskräften und Kolleginnen. 

Die vier häufigsten Gender Bias – und was du dagegen tun kannst

Die Rechtswissenschaftlerin Joan C. Williams identifizierte in ihrer Forschung vier typische Bias-Muster, die Frauen besonders häufig betreffen. Diese Muster bestätigen sich auch im Feedback vieler Teilnehmerinnen unseres troodi Lernprogramms „She is strong – Frauen in Verantwortung“. 

Hier stellen wir dir die Muster vor und zeigen praktische Impulse, wie du als Personalentwickler*in, Führungskraft oder Betroffene damit umgehen kannst. 

1. „Beweis es nochmal“ – Prove It Again

Was steckt dahinter?

Frauen müssen ihre Kompetenz häufiger und deutlicher belegen als Männer. Während Männer in der Regel auf Basis ihres Potenzials beurteilt werden, zählen bei Frauen vor allem nachgewiesene Leistungen. 

Wie zeigt sich das?

  • Frauen erhalten seltener Vorschussvertrauen.
  • Ihre Erfolge werden häufiger Glück zugeschrieben.
  • Ihre Ideen werden übergangen – und später von männlichen Kollegen wiederholt eingebracht.

Was kannst du tun?

Als HR-Verantwortliche*r:  

  • Sorge für strukturierte Beurteilungskriterien in Auswahl- und Entwicklungsprozessen.  
  • Gestalte Feedbackprozesse so, dass sie sowohl individuelle Leistungen sichtbar machen als auch Entwicklung fördern. 

    Als Führungskraft oder Kolleg*in:  

    • Ermutige zur Sichtbarkeit – z.B. durch gezielte Anerkennung im Team.
    • Sprich Erfolge aktiv an und teile sie – auch stellvertretend für Kolleginnen.
    • Sei ein Ally und unterstütze aktiv bei Meetings oder in Entscheidungsrunden

        2. Der Seiltanz – Tightrope

        Was steckt dahinter?

        Frauen stehen oft vor einem Dilemma: Zeigen sie sich freundlich und kooperativ, gelten sie als „weich“. Treten sie dominant auf, werden sie schnell als „hart“ oder „unsympathisch“ wahrgenommen. 

        Wie zeigt sich das?

        • Während Männer für Durchsetzungsvermögen bewundert werden, können Frauen bei gleichem Verhalten auf Widerstand stoßen.
        • Frauen übernehmen häufiger Zusatzaufgaben („Büro-Hausarbeit“), die nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen.
        • Während Männern oft applaudiert wird, wenn sie über ihre Erfolge sprechen, neigen Frauen dazu, auf Ablehnung zu stoßen, weil sie nicht bescheiden genug sind.

        Was kannst du tun?

        Als HR-Verantwortliche*r:  

        • Schaffe Reflexionsräume – z.B. durch Coaching-Formate, Peer-Austausch oder Lernprogramme.  
        • Sensibilisiere Führungskräfte gezielt für sogenannte Double-Bind-Dynamiken – also die widersprüchlichen Erwartungen an Frauen, gleichzeitig durchsetzungsstark und „sympathisch“ zu sein.  

          Als Führungskraft oder Kolleg*in:  

          • Stärke Rollenvorbilder, die Klarheit und Freundlichkeit vereinen – und sprich offen über eigene Erfahrungen.
          • Fördere eine Kommunikationskultur, die klare Aussagen und Selbstwirksamkeit unterstützt – etwa durch aktives Zuhören, gezieltes Nachfragen oder konstruktives Feedback. 

            3. Die Mütterwand – Maternal Wall

            Was steckt dahinter?

            Mütter – oder Frauen, denen man Mutterschaft zutraut – gelten häufig als weniger karriereorientiert. Diese Annahmen können sich negativ auf Auswahl-, Beförderungs- und Entwicklungschancen auswirken.

            Wie zeigt sich das?

            • Frauen mit Kindern wird weniger Flexibilität zugestanden und es gibt fixe Ideen darüber, welche Art von Arbeit sie machen sollten.  
            • Einige Arbeitgeber*innen sind der Meinung, dass Mütter mit ihren Kindern zu Hause sein sollten. Dies führt zu weniger beruflichen Chancen für die Frauen und schließlich zu einem großen Nachteil.  
            • Frauen ohne Kinder werden gefragt, ob das „noch kommt“. Gleichzeitig leisten sie die meisten unbezahlten Überstunden. 

            Was kannst du tun?

            Als HR-Verantwortliche*r:  

            • Nutze anonymisierte Auswahlverfahren, um Verzerrungen im Recruiting zu reduzieren.  
            • Fördere flexible Arbeitsmodelle – für alle Mitarbeitenden, unabhängig von Elternstatus.  
            • Schaffe Bewusstsein für unterschiedliche Lebensmodelle – ohne Wertung.  

                Als Führungskraft oder Kolleg*in:  

                • Sprich über berufliche Ziele – ohne Annahmen über private Lebensentscheidungen zu treffen. 
                • Reflektiere eigene Zweifel oder Vorannahmen zur Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden – bevor du sie ansprichst. 
                • Begegne unterschiedlichen Lebensentwürfen mit Offenheit und Respekt – unabhängig davon, ob sie im Arbeitskontext sichtbar werden oder nicht. 

                        4. Das Tauziehen – Tug-of-War

                        Was steckt dahinter?

                        Wenn Frauen selbst Diskriminierung erlebt haben, geben sie diese Muster mitunter weiter – an Kolleginnen. Das führt zu Konkurrenz statt Unterstützung.

                        Wie zeigt sich das?

                        • Frauen beurteilen andere Frauen oft strenger.
                        • Es fehlt an gegenseitiger Unterstützung oder Mentoring.
                        • Unterschiede im Lebensstil (z. B. Mutter vs. kinderlos) werden abgewertet.

                        Was kannst du tun?

                        Als HR-Verantwortliche*r:  

                        • Etabliere Peer- und Ally-Netzwerke, die aktiven Austausch fördern.  
                        • Stärke bereichsübergreifende Mentoring-Programme.  
                        • Fördere Konfliktkompetenz – für eine offene, wertschätzende Gesprächskultur. 

                             Als Führungskraft oder Kolleg*in:  

                            • Sei Vorbild für Empowerment, indem du andere sichtbar unterstützt – und frag umgekehrt aktiv nach Hilfe.
                            • Sprich Konkurrenzverhalten an, wenn es Teams oder Einzelne belastet – und fördere stattdessen eine Kultur der Kooperation. 

                              Workshops zum Thema Gender Bias sind ein guter Anfang – reichen aber nicht aus. Wirklicher Wandel entsteht erst durch wirksame und langfristige Lernformate, die in der gesamten Organisation Raum für Reflexion und Perspektivwechsel schaffen. 

                              Was du als HR-Verantwortliche*r tun kannst – vier Empfehlungen

                              1. Bias-Audit starten: Analysiere Prozesse wie Stellenausschreibungen, Auswahl und Feedback – wo wirken unbewusste Vorurteile?

                              2. Lernreisen statt Impulsvorträge: Setze auf längere Entwicklungsformate mit mehreren Touchpoints, die echte Veränderung ermöglichen.

                              3. Erfolg messbar machen: Vergleiche z. B. Beförderungsquoten oder Engagement Scores vor und nach den eingesetzten Maßnahmen.

                              4. Ally-Netzwerke etablieren: Fördere gemischte Unterstützungsstrukturen – von Frauen und Männern.

                              Fazit: Aus Hürden werden Hebel

                              Biases verschwindet nicht durch gute Absichten – sondern durch konsequente Strategien. Wer Gender Bias sichtbar macht und strukturell angeht, öffnet nicht nur Türen für Frauen – sondern schafft eine gerechtere, leistungsfähigere Organisation. Veränderung ist allerdings kein Sprint, sondern ein Marathon. Wichtig ist, dass der Bedarf erkannt und Maßnahmen angestoßen und ermutigt werden. 

                              Lynn Tamberger
                              L&D Consultant
                              Lynn Tamberger ist L&D Consultant bei troodi mit einschlägiger Erfahrung in den Bereichen Content-Konzeption, Projektmanagement und Kommunikation. Ihr Fokus liegt auf der Entwicklung moderner Lernformate und der Begleitung von Organisationen in Veränderungsprozessen. Besonders interessiert sie sich für digitales Lernen, persönliche Entwicklung und die Frage, wie Zusammenarbeit zukunftsfähig gestaltet werden kann.

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